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Noch nie waren null Tonnen für das Erreichen des Klimaziel so schwer. Bis zur Mitte des Jahrhunderts soll der Ausstoss von Treibhausgasen in der Schweiz von heute rund 45 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten pro Jahr auf 0 sinken. So hat es der Bundesrat im Sommer 2019 beschlossen. Die Regierung entspricht damit dem Ziel des Pariser Klimaabkommens, das die globale Erwärmung auf 1,5 Grad über dem vorindustriellen Wert begrenzen will. Auch die EU und andere Industriestaaten bekennen sich zur Klimaneutralität ihrer Volkswirtschaften bis zum Jahr 2050. China will sich zehn Jahre mehr Zeit nehmen.

Angesichts der langen Investitionszyklen in der Energiewirtschaft sind das ambitionierte Vorhaben. «Die Menschheit hat noch nie etwas so Grosses unternommen», schreibt Bill Gates in seinem kürzlich erschienenen Buch «Wie wir die Klimakatastrophe verhindern».

Die Wissenschaft hat das Klimaziel berechnet

Wie teuer die Dekarbonisierung des schweizerischen Energiesystems in den Jahren von 2020 bis 2050 werden könnte, haben jetzt Wissenschafter des Paul-Scherrer-Instituts (PSI) abgeschätzt. In ihrem Hauptszenario rechnen sie mit Kosten von 330 Franken pro Kopf der Bevölkerung und pro Jahr. Je nach technischer Entwicklung und klimapolitischem Umfeld in Europa und der Welt schwanken die Schätzungen des PSI zwischen 200 und 860 Franken pro Kopf und Jahr.

Die Wissenschafter des PSI betrachten ausschliesslich Emissionen des Energiesystems und der Industrie, die zusammen 80 Prozent des schweizerischen Treibhausgasausstosses ausmachen. Die Beiträge der Landwirtschaft und des internationalen Luftverkehrs berücksichtigen die Analysen nicht.

Energiepolitiker werden darin erleichtert lesen, dass eine klimaneutrale Energieversorgung der Schweiz schon im Jahr 2050 technisch möglich erscheint, so wie das auch die «Energieperspektiven» festgehalten hatten. Beide Forschergruppen ermitteln in ihren Szenarien eine zunehmende Elektrifizierung des Energiesystems, einen Trend, der durch die zunehmende Elektromobilität und den Einsatz von elektrischen Wärmepumpen zu Heizzwecken dominiert wird.

Die Elektrifizierung allein wird allerdings nicht ausreichen. Auch die Produktion von Bioenergie aus Holz, erneuerbaren Abfällen und Gülle muss sich gegenüber 2015 fast verdoppeln.

Notwendig ist zudem die Abscheidung von CO2 aus Abgasen von Kraftwerken, Industriefeuerungen und Kehrichtverbrennungsanlagen und die anschliessende Tiefenlagerung des Treibhausgases in geeigneten Gesteinen. Ohne dieses sogenannte Carbon Capture and Storage (CCS) ist ein klimaneutrales Energiesystem in der Schweiz nahezu unmöglich.

Alle Optionen sind wichtig

Generell zeigt die PSI-Studie: Es gibt keine Technik, auf die verzichtet werden könnte. Jede erneuerbare Energie wird gebraucht, und jede Option, Energie zu sparen, muss ausgeschöpft werden – jedenfalls solange die Kernenergie ausgeschlossen bleibt. Und das ist nicht nur eine technische und finanzielle Herausforderung, sondern auch eine soziale. Falls zum Beispiel die gesellschaftliche Akzeptanz für CCS oder den Ausbau der Photovoltaik und Windkraft fehlt, wird die Energiewende scheitern oder zumindest sehr viel teurer werden als erhofft.